Reiner und Katharina Ohle empfehlen 99 Überlebenskünstler von Hans Magnus Enzensberger
Hans Magnus Enzensberger
99 Überlebenskünstler – literarische Vignetten aus dem 20.Jahrhundert
Das Buch ist ein großes Lesevergnügen - jedes Kapitel macht Lust auf weitere Lektüre. Es ist ein Buch, das für Bücher wirbt und für das Lesen. (…und so einmal mehr deutlich demonstriert, wie wichtig und bedeutsam wohlsortierte und geführte öffentliche Bibliotheken sind.) Hans Magnus Enzensberger nimmt sich In seinem neuesten Werk der Vignette an. Als Vignette wird in der Literatur ein kurzer Text verstanden, der sich auf einen Moment, eine Person, einen Ort, ein Objekt oder eine Idee bezieht. Diese Idee ist bei in Enzensberger kleinformatige Porträts eingearbeitet worden, die eine Antwort auf die Frage suchen: wie haben die Schriftsteller und Schriftstellerinnen ihre Zeit erlebt, wie haben sie in ihrer Zeit überlebt? Sein Vorhaben beschreibt er selbst so: „Das 20. Jahrhundert war eine Blütezeit von Schriftstellern, die Staatsterror und Säuberungen überlebt haben, mit all den moralischen und politischen Ambivalenzen, die das mit sich brachte. Wie ist es dabei zugegangen? Waren sie zu standfest, um vor der Macht zu kapitulieren? Hatten sie ihr Überleben ihrer Hellsicht, ihrer Intelligenz oder Schlauheit zu verdanken, ihrem Glauben an sich selbst, ihren Beziehungen oder ihrem taktischen Geschick? Waren es Glücksfälle, die an ein Wunder grenzten, durch die sie dem Gefängnis, dem Lager und dem Tod entronnen sind, oder waren es Strategien, die von der Anbiederung bis zur Tarnung reichten? Wer hat das so klar unterscheiden könnte!“ Die Vignetten, die 11 Schriftstellerinnen und 88 Schriftsteller knapp portraitieren, entwickeln beim Leser eine große Lust auf mehr Literatur. Enzensberger hat keine literaturhistorischen Studien betrieben, sondern sein Buch überzeugt durch seine bunte Mischung - es ist eine gekonnte, kurzweilige Plauderei mit einer sehr persönlichen Note und einer Vielzahl erinnerungswürdiger Wendungen, die das große Geschick des Autors deutlich machen, mit kleinen Bemerkungen und sorgsam herauspräparierten Unterschieden ein großes Thema treffsicher auf den Punkt zu bringen, es schier unendlich zu variieren und überall nach den Schattierungen, nach den Zwischentönen zu suchen. Der Leser, der bei keiner durchgehenden Geschichte bleiben muss, kann das Buch nach jedem Kapitel wieder weglegen und diejenigen heraussuchen, die ihn besonders interessieren. Jeder wird – das ist sicher - in den 99 Vignetten, viele entdecken, die er kennt, viele, von denen er schon einmal gehört hat und darüber hinaus auf eine stattliche Zahl von Schriftstellern und Schriftstellerinnen stoßen, die ihm völlig unbekannt sind.