Klaus Modicks Erzählung „Konzert ohne Dichter“- Kiepenheuer & Witsch, 2015, 240 Seiten -   ist ein wunderbarer Künstlerroman, der in der Zeit der Jahrhundertwende zwischen 1900 und 1905 in Worpswede bei Bremen spielt.

Ausgangspunkt ist das berühmte Gemälde „Sommerabend“ von Heinrich Vogeler, das in diesen Jahren entstanden ist (im Worpswede zu besichtigen, 1989 auch Sonderbriefmarke der Bundespost).

Das imposante, großflächige Jugendstil-Bild einer edlen Gesellschaft, die sich zu einem Sommer-konzert auf dem Barkenhof versammelt hat, zeigt auf den ersten Blick kompositorische Symmetrie und äußere Harmonie. Genaueres Hinsehen vermittelt jedoch, dass Form und Inhalt auseinander fallen, da die Positionierung und vor allem die Mimik der Personen eher rätselhaft und überraschend sind. Der Roman greift diese Irritationen auf und erzählt vom Entstehen und Zerbrechen einer interessanten Künstlerfreundschaft, von der Beziehung zwischen Heinrich Vogeler, dem genialen und damals schon hochberühmten Worpsweder Maler, und dem jungen Dichter Rainer Maria Rilke. Eine wichtige Rolle spielt dabei die  „menage à trois“, also Rilkes Beziehung zu den Worpsweder Frauen, zu Paula Becker und Clara Westhoff, seiner späteren Ehefrau.

Neben den zunehmenden persönlichen Konflikten der Protagonisten, die vor allem der Person Rilkes geschuldet sind, beschäftigt sich das Buch mit dem Selbstverständnis des Künstlers zu seiner Kunst und mit dem Verhältnis des Künstlers zu den Mäzenaten, von denen sie oft finanziell abhängig sind.  Eine wichtige, aber durchaus heitere Rolle nimmt hier der Bremer Kaufmann Roselius ein.

Im Zentrum der Erzählung steht das Verhältnis zwischen Vogeler und Rilke. Während Vogeler als vielseitig begabter, vermögender, großzügiger und sozial empfindsamer Künstler geschildert wird, bleibt an Rilke, der auf Einladung Vogelers nach Worpswede kommt und dort etwa ein Jahr lebt,  beim Erzähler kaum ein gutes Haar. Rilke wird als junger, eitler Schnorrer, als selbstgefälliger Künstler und Frauenheld beschrieben, alltagsuntauglich und bizarr, alles andere als sympathisch. Seine Eitelkeit gipfelt in einem Lyrikband von eher schlechten Gedichten, die er unter dem vielsagenden Titel „Mir zur Feier“ veröffentlicht.

Rilkes Selbstgefälligkeit, sein egozentrisches Frauenbild und auch seine fürchterliche  Beziehung zum eigenen Kind provozieren den Bruch mit Vogeler, was letztlich dazu führt, dass der Dichter Worpswede verlässt und vom Maler auch aus dem Bild „Sommerabend“ hinauskomplementiert wird. Eigentlich war die Anwesenheit Rilkes auf dem Gemälde vorgesehen, aus Enttäuschung und Verärgerung hat Vogeler den Dichter später jedoch wieder entfernt. Von hier erklärt sich  der Titel des Romans „Konzert ohne Dichter“.

Die Erzählung spielt an drei Tagen im Juni 1905 und spiegelt in Rückblenden die Zeit ab 1890, als Heinrich Vogeler nach Worpswede kam. Sie ist aus der Perspektive Vogelers verfasst, hat dadurch (natürlich) eine etwas einseitige Sicht.

Mir hat das Buch wegen seiner – für mich! - interessanten Künstler-Thematik gefallen; es hat mich aber auch in seinem ruhigen Erzählfluss und seiner noblen Sprache überzeugt.

Für Worpswede-Fans und solche, die es vielleicht werden wollen, dringend zu empfehlen. 

 

Ulrich Priebus

 Online Katalog der Stadtbücherei